Oekodok
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Abstract
Udo Pollmer ruht sich auf verdorrten Lorbeeren aus
Enthielte «Iss und stirb» nicht auch noch Tipps, wie man sich ernähren soll, würde man nach der Lektüre wohl in Versuchung stehen, sich zu Tode zu hungern. Ein anderer Grund kann einen aber ebenfalls davon abhalten: Das Buch ist vollkommen veraltet<br/>«Iss und stirb»? Hat das nicht Siebeck vor ein paar Monaten empfohlen? Wie auch immer, das Buch, das früher fast Kultstatus genoss, liegt auf meinem Schreibtisch. Auf der Ausgabe steht «aktualisiert und neu bearbeitet», erschienen ist die sechste Auflage im vergangenen Jahr<br/>Wunderbar: «Aktualisiert und neu bearbeitet»! Das klingt nach «frisch» oder wenigstens nach «aufgefrischt». Gerne hätte ich gewusst, wie Udo Pollmer Zahlen einschätzt, die seit einem Vierteljahrhundert (!) veraltet sind und gleichwohl als «aktualisiert und neu bearbeitet» angepriesen werden – wenn es sich um wie auch immer geartete Lebensmittel handelte. Wahrscheinlich wäre das Wort «Schwindel» eines der harmloseren gewesen, das er sich hätte durch den Kopf gehen lassen<br/>Ein paar Kostproben: Stolpern wir über die schummrige Formulierung «…aus einem der letzten Jahre», können wir davon ausgehen, dass die Zahlen veraltet sind. In diesem Fall war «eines der letzten Jahre» 1980. Anderswo kann mit derselben Formulierung auch wahlweise 1971, 1974 oder 1978 gemeint sein. «In den letzten 15 Jahren» heisst im Zweifelsfall (und der existiert hier leider überall): die Zeit zwischen 1970 und 1985. Ich möchte so alte Fische nicht in meiner Küche wissen<br/>Das Buch hat früher Kultstatus erhalten, und das vollkommen zu Recht. Denn das Buch von Udo Pollmer und der früh verstorbenen Eva Kapfelsberger zeigt in verständlicher Sprache, wie Produzenten und viel zu viele Aufsichtsbehörden, die es eigentlich besser wissen müssten, alles daran setzen, den Konsumenten noch den letzten Dreck zu verkaufen – und zwar als 1A-Ware. Den letzten Dreck? Ja: Es gab wirklich Bestrebungen, die «Feststoffe von Schweinegülle» zur Fütterung von Mastbullen einzusetzen. Ein Grund, sich heute speziell darüber zu beunruhigen? Nein – denn verboten wurde diese Praxis in Deutschland im Jahre 1979<br/>So geht es mit fast allen Beispielen: Meist hat sich die Rechtslage geändert. Das heisst natürlich überhaupt nicht zwingend, dass sich die Situation gebessert hätte! Aber sie hat sich grundlegend verändert. Vom Rinderwahnsinn werden Sie also kein Sterbenswort erfahren, das ist viel zu neu für dieses Buch (Rinderwahnsinn als grosses Thema ist ja auch erst rund zehn Jahre alt). Ebenso wenig erscheinen gentechnisch veränderte Nahrungsmittel. Gerade deswegen wäre es so sinnvoll, dass sich Pollmer – der wohl berufenste seiner Gilde – erneut über die grundsätzlichen Fragen der langsamen und kalkulierten Vergiftung von Konsumentinnen und Konsumenten beugte (weniger grundsätzlich hat er das im vergangenen Jahr auch getan). Denn als Reminiszenz oder als historisches Dokument ist dieses Buch weiterhin grossartig. Hinreissend sind etwa auch die konkreten Beispiele für das Gesundrechnen ungesunder Ernährung. Es schreit aber alles danach, wirklich aufgefrischt zu werden, denn unter dem Aspekt der Aktualität besehen, ist die sonst sehr packende Lektüre beinahe ebenso spannend wie einem Joghurt dabei zuzusehen, wie sein Verfallsdatum abläuft.
Stichworte: Eier, Hormone, Fleisch, Rindfleisch, Antibiotika, Resistenzen, Psychopharmaka, Betablocker, Kraftfutter, Harnstoffe, Futteraromen, Schwermetalle, Blei, Cadmium, Pestizide, Radioaktivität, Bestrahlung von Lebensmitteln, Viehmast, Wurstfabrikation, Schwarten, Fett, Wasser, Emulgatoren, Phosphate, Citrat, Zitronensäure, Antioxidantien, Zucker, Pökeln, Nitrit, Nitrat, Nitrosamine, krebserregende Stoffe, Flüssigrauch, Altreifenverwertung, Konservierungsmittel, Legebatterien, Batteriehaltung, Hühner, Medikamente, «verchromtes Futter», Lebensmittelvergiftungen, Massentierhaltung, Milch, Rohmilch, Vorzugsmilch, Muttermilch, Cholesterin, Biokost, Testresultate, hormonähnliche Substanzen, endokrine Stoffe, UHT-Milch
Schlagwort: Bücher und neue Medien > «Buch des Monats»
Medium: Ökomedia
Publikationsdatum: 13.04.1999
Autor: tsc.
Eigenschaften: Buch;
Buchangaben: Iss und stirb – Chemie in unserer Nahrung. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1998.
Buchautor: Kapfelsberger, Eva / Pollmer, Udo
Seiten, Preis: 322 S. / DM 16,90
Abstract-Nr: 102813
Abstract-ID: 00511300025