Oekodok
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Abstract
Urbanität (fast) ohne Architektur: Eine wohlüberlegte Provokation
Endlich erscheint ein Buch über Urbanität, das die komplexe Interdisziplinarität der Stadt thematisiert – und das Planen und Bauen zum Nebenprodukt erklärt<br/>Die Bewegung, die Mobilität von Massen prägt die Stadt: Menschen strömen durch die Strassen, Lastwagen, Güterzüge und Schiffe tauschen ihre Ladung aus, eine unendliche Zahl von Geschichten und Ideen finden hier ihren Marktplatz, Milliardenbeträge wechseln die Hand (oder das Konto), Informationen konzentrieren sich hier und werden zu Wissen verarbeitet – Geografie (Lage, Klima, Topografie) und Umwelt bilden den Rahmen. Das alles nennen die AutorInnen «Stadt». Gebautes kommt nur am Rande vor, bildet den Rahmen, oder wie der Herausgeber schreibt, indem er den «Dokumenta X»-Katalog von 1997 zitiert: «Wenn es an der Londoner Oxford Street regnet, ist die Architektur nicht wichtiger als der Regen.»$«Breathing Cities» beklagt sich nicht darüber, dass Architektur und Planung, Ingenieurwesen und Urbanwissenschaft immer weniger Eindeutiges und Verbindliches über das Phänomen «Stadt» zu sagen haben – es stellt provozierend Gegenthesen auf: Der Wahrheit am nächsten kommen Assoziationen von KünstlerInnen, SozialwissenschafterInnen und GeografInnen, welche sich phänomenologisch den Metropolen nähern<br/>Das vorliegende Buch ist der beste Beweis dafür. Es erschliesst sich einerseits über 22 teilweise nur tiefschürfende, meist aber auch witzige Aufsätze, die sich Fragen stellen wie: Weshalb sind mitten in der Steinwüste New Yorks mehr (einheimische und andere) Früchte und Gemüse zu haben als auf der grünen Landschaft draussen? Gleichzeitig ist «Breathing Cities» ein Bildband, der seine zentrale Behauptung visuell untermauert: Stadt ist Bewegung (während Land Stillstand ist). Deshalb ziehen die Zentren, welche bloss 2% der Erdoberfläche bedecken, beinahe magisch Menschen an und beherbergen heute schon über 50% der Weltbevölkerung. An der guten Luft kann's ja nicht liegen, und auch die Verdienstmöglichkeiten sind für den Durchschnitt – im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten – selten berauschend<br/>Aus der Sicht der Stadtökologie präsentieren sich hier die grossen Agglomerationen als Organismen, die leben, atmen, denken, sich ernähren, Fäkalien produzieren. Ob sie auch einem Lebenszyklus folgen, vom Geboren werden bis zum Tod, bleibt offen<br/>Diese Interpretation stimmt nachdenklich: Statt Natur in der Stadt zu suchen, wäre die Stadt demnach selbst Natur, auch wenn hier kein einziger Baum wachsen würde. Wenn wir dies für einmal akzeptieren, dann könnte es gelingen, für eine lebenswerte Stadt ganz neue Spielarten und Kriterien zu entwickeln: Energieeffizienz, Landschaftsschutz, Luftreinhaltung, Artenvielfalt – diese Postulate in Verbindung zu bringen mit «Breathing Cities» könnte sich als Herausforderung an die Ökologie des 21. Jahrhunderts herausstellen. Eine Neubeurteilung der «schrecklichen Stadt» ist Voraussetzung, um diese Aufgabe glaubwürdig anzupacken. «Breathing Cities» liefert zumindest einen Ansatz und einen Teil der Grundlagen dafür.
Stichworte: Stadtökologie, Stadtentwicklung
Schlagwort: Bücher und neue Medien > «Buch des Monats»
Medium: Ökomedia
Publikationsdatum: 01.09.2000
Autor: DW.
Buchangaben: Breathing Cities, The Architecture of Movement, Birkhäuser-Verlag, Basel, 2000.
Buchautor: Barley, Nick (Hrsg.):
Seiten, Preis: 128 S. / 58 Mark
Abstract-Nr: 108379
Abstract-ID: 00511300043