Oekodok
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Abstract
Abfall ist (auch) ein kulturelles Phänomen
Denn nichts ist von sich aus Abfall – es wird es erst durch einen Prozess, an dessen Ende etwas (kulturell) nicht oder nicht mehr Benötigtes steht. Eine Binsenweisheit? Nur vordergründig, denn das gilt bei Weitem nicht nur für die leergetrunkene Dose<br/>Die vergangenen zehn Jahre standen auch im Zeichen des Abfalls, ob dieser nun über Stoffflussmanagement oder den grünen Punkt führte. Weniger offensichtlich ist, dass der Abfallbegriff – kulturell verstanden – auch auf gesamte Industrieareale, ihre mögliche Sanierung und ihre Umgestaltung Anwendung finden kann. Die Privatdozentin Susanne Hauser vom Kulturwissenschaftlichen Seminar der Berliner Humboldt-Universität hat ihren Blick auf diese Areale gerichtet. Entstanden ist eine Habilitationsschrift, was niemanden vor der Lektüre schrecken sollte – denn sie ist nicht nur lesbar, sondern sie ist mit Gewinn und über weite Strecken gar mit Lust zu lesen<br/>Nehmen wir also einen Bau – sagen wir: ein altes Bauernhaus, baufällig, aus dem 18. Jahrhundert. Vordergründig handelt es sich ebenso um Abfall wie ein verlassener Industriebau auf einer Industriebrache. Aber vielleicht besteht ein museales Interesse, dieses Haus zu retten – zum Beispiel in einem Ecomusée. Und beim Industriebau das Ziel, ihn umzunutzen und Architektur- und Designbüros darin unterzubringen. Und die Industriebrache zu einer Wiese mit grosser Artenvielfalt zu verwandeln («Brachflächenrecycling»). Hier ist es der kulturelle Blick, der den Weg zeichnen wird, nicht vornehmlich der technische Abfallbegriff<br/>Natürlich handelt es sich nicht in erster Linie um eine ausschliesslich kulturelle Frage, wenn Sonderabfälle die Trinkwassergewinnung akut gefährden. Aber wo ein mit Blei belasteter Boden die weitere Umwelt nicht gefährdet, ist eine der Möglichkeiten, die Fläche zu begrünen – diese Fläche also zu ästhetisieren. Und schon sind wir mitten in einer Ästhetikdebatte, die vom ursprünglich als Abfall wahrgenommenen Problem wegführt<br/>Eine der Triebfedern ist offensichtlich die Zeit – die Beschleunigung des Veraltens, also wieder der Ausdruck einer kulturellen Grösse. Einfacher gesagt: Was im Museum landet und nicht auf der Abfalldeponie, ist Zeichen von Kultur, nicht eine primär technische Entsorgungsfrage. Und Natur kann sich auch in Kunstlandschaften sehr wohl fühlen, wie auch NaturschützerInnen seit vielen Jahren wissen. Dieser Blick ist es, den uns Susanne Hauser öffnet. Das macht sie tiefgründig, umfassend und teils mit Formulierungen, die man als wissenschaftliche Distanz deuten kann oder als feinen, leisen Humor. Als Ergänzung zur Technik-lastigen Abfalldiskussion ist dieses Buch nicht zuletzt Raumplanerinnen und Städteplanern sehr zu empfehlen – gerade in diesen Zeiten «einer der letzten wenigen bezweifelten Naturgewalten, des globalen Wirtschaftsprozesses, dessen produktive Innovationen derzeit reichlich und sichtbar Abfall hinter sich lassen».
Stichworte: Raumplanung, lokale Agenda 21, Ästhetik, Museen, Museum, Umweltgeschichte, Geschichte, Naturschutz, Verständnis von Natur, künstliche Natur (höhere Artenvielfalt auf ehemaligen Industriearealen als in der «unberührten» Natur), Kontaminationen, mögliche künftige Nutzung, Gifte, Kontamination, Vergiftungen, Fallbeispiele, Museen der Industriegesellschaft, Kunst, Ironbridge, National Park of Industrial Archaeology, Ecomusealisierung (sic!), Trivialität der Umnutzung, ephemeres Welterbe, Ruinen, Melancholie, British Ecological Society, Kulturlandschaften, Landschaftsschutz, postindustrielle Landschaft, Flächenrecycling
Schlagwort: Bücher und neue Medien > «Buch des Monats»
Medium: Ökomedia
Publikationsdatum: 07.06.2001
Autor: tsc.
Eigenschaften: Buch;
Buchangaben: Metamorphosen des Abfalls. Konzepte für alte Industrieareale. Campus-Verlag, Frankfurt, 2001.
Buchautor: Hauser, Susanne
Seiten, Preis: 382 S. / 68 Mark / 61 sFr.
ISBN: 3.593-36756-4
Abstract-Nr: 111040
Abstract-ID: 00511300052