Oekodok
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Abstract
Kritische Analyse der internationalen Umweltpolitik
Über Rio und die Folgen ist schon (zu) viel geschrieben worden. Mit «Der Planet als Patient» liegt nun endlich ein Buch vor, das es sich auch zu lesen lohnt. Wolfgang Sachs vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie hat in diesem Sammelband ein Dutzend Beiträge zu einer beissend kritischen Analyse des Nach-Rio-Zeitalters vereint. Die Autorinnen und Autoren sind in ihrem Gebiet alle gut bekannt: als innovative Querdenkerinnen (und -denker), als unkonventionelle Nachfragerinnen (und -frager) oder einfach als akademische Kapazitäten. Doch ein akademisches Buch ist es, trotz der zahlreichen Anmerkungen und Literaturhinweisen, nicht geworden. Die theoretische Analysen und die Beispiele aus der Praxis halten sich angenehm die Waage.<br/>Das Buch gliedert sich in vier Teile. Im ersten (und besten) Teil geht es um «Rio und danach». Wolfgang Sachs analysiert mit spitzer Feder und griffigen Aussagen das komplexe Wechselspiel von Entwicklung und Umwelt. Er weist nach, dass der Umweltgedanke immer im Schatten des Entwicklungsdenkens gestanden hat und auch nach Rio noch steht. Die Folge davon ist, dass wieder einmal der Süden als Verlierer dasteht. Denn dadurch, dass der Süden sich zur Entwicklung bekennt, bringt er sich «kulturell und politisch in einen Zustand struktureller Schwäche, was unter anderem zu der absurden Situation geführt hat, dass der Norden sich als Wohltäter präsentieren konnte, der die Lösungen für die ökologische Krise liefert.» Weil nicht «Alternativen zur Entwicklung, sondern lediglich Alternativen innerhalb der Entwicklung» gesucht wurden, habe Rio keineswegs zu einem Umdenken geführt, schreibt Sachs weiter. Die internationale Umweltdiplomatie werde dabei von vier Konflikten durchzogen: «Es wird um Verfügungsrechte, Verschmutzungsrechte und Vermeidungskosten gerungen, während über allem der Konflikt um die Verantwortung schwebt.»<br/>Nicholas Hildyard knüpft mit seinem Beitrag direkt hier an und untersucht die Lobbies, die in Rio mehr oder weniger sichtbar am Werke waren. Er beschreibt, wie es in Rio dazu kam, dass viele zentrale Fragen gar nicht erst gestellt wurden: «Das Sekretariat belieferte die Delegationen mit Papieren über eine Konvention zur biologischen Vielfalt, aber nicht über freien Handel, über Wälder, aber nicht über Agrobusiness, über Klima, aber nicht über Automobile.» Auf der anderen Seite wurde wenige Monate vor dem Erdgipfel das UN-Zentrum für internationale Konzerne geschlossen, das kritisch die Rolle von westlichen Multis erforscht hatte. Hildyard befürchtet, dass in Zukunft «eine neue Welle der Kolonialisierung» in Gang gesetzt werden könnte, bei der «das Management von Menschen - oder ganzer Gesellschaften - zugunsten kommerzieller Interessen im Namen des Umweltschutzes gerechtfertigt wird.» Auch Tariq Banuri kommt in seinem Beitrag zum Schluss, dass der Süden es verpasst hat, eine «Änderung der grundlegenden Strukturbedingungen herbeizuführen» - sprich: den Verlauf der weiteren Diskussionen aktiv mitzugestalten. So sei nicht versucht worden, über die globale Verteilung des Verbrauchs zu sprechen oder über eine bindende Konvention gegen die Armut.<br/>Der zweite Teil des Buches geht mit mehreren Beiträgen der Frage nach, wie nachhaltig das Konzept der Nachhaltigkeit ist. Spannend ist vor allem der Ansatz von Donald Worster, der die Problematik des Nachhaltigkeitsbegriffs historisch begründet. Er zeigt, wie sich das Bild des Menschen, das er sich von der Natur macht, im Laufe der Zeit verändert hat. So prägt heute - nachdem die Ökosystem-Philosophie hat abdanken müssen - die Chaostheorie das Naturbild der modernen Ökologie. Worster stellt ausserdem einige «schwerwiegende Defekte» im Ideal der nachhaltigen Entwicklung fest. Es ist anthropozentrisch, stützt sich auf nicht bestimmbare Tragekapazitäten lokaler Ökosysteme und ist auf einen «profanen Materialismus» fixiert.<br/>Anregend auch der Ansatz von Hans Achterhuis, der - ebenfalls mit einem historischen Ansatz - den «Mythos der Knappheit» untersucht. Anhand von Bacon über Hobbes und Locke bis hin zu Adam Smith und Keynes zeigt Achterhuis auf, wie Knappheit als Mythos entstehen konnte und welche Folgen dies hatte: «Die Natur wird zum Sündenbock der Moderne, der Mangel in der Natur ist die Quelle der Gewalt.» Vom Mythos der Knappheit zum Bild des Raumschiffs Erde ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, wie Achterhuis weiter zeigt. Und dieses Bild ist antidemokratisch und elitär, wie auch der Ansatz des Club of Rome, der neuerdings fordert, dass eine wissenschaftliche Elite die traditionellen Methoden der Politik ablösen solle.<br/>Schade, dass in diesem zweiten Teil die Beiträge von Christine von Weizsäcker und Paul Ekins das Niveau der übrigen Beiträge nicht erreichen: Während von Weizsäcker unstrukturiert und konzeptlos über die «Vielfalt im Verständnis von ‚Artenvielfalt‘» plaudert, bringt Ekins in seinem Aufsatz über die «Grundorientierungen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit» zwar durchaus konkrete Beispiele, doch will es ihm nicht gelingen, sein theoretisches Fundament zu festigen und damit auf die wirklichen Ursachen der Probleme eingehen zu können.<br/>Die zwei letzten (wesentlich kürzeren) Teile des Buches gehen einerseits auf «die eine und geteilte Welt» ein, andererseits auf die Verantwortung der Menschen gegenüber der Natur. Vor allem im letzten Teil illustrieren kurze, aber sehr eindrückliche Beispiel aus Indien und Afrika die Defizite der heutigen Nachhaltigkeits-Diskussion. Dieser Begriff, so zeigt sich, ist blutarm und abstrakt.<br/>Bücher wie dieses tragen dazu bei, sich kritisch mit der Zeit nach Rio auseinanderzusetzen. Wenn auch nicht alle Beiträge das hohe Niveau halten können, das der Herausgeber Wolfgang Sachs gleich zu Beginn als Massstab setzt - es gibt auf dem deutschen Büchermarkt bislang keine so anregende Analyse der Rio-Ereignisse.
Stichworte: Rio, UNCED, Umweltdiplomatie, internationale Umweltpolitik, Artenvielfalt, Knappheit, Nachhaltigkeit, Klimawandel, Nord-Süd-Konflikt, Afrika, Indien
Schlagwort: Bücher und neue Medien > Rezensionen OekoDok
Medium: Ökomedia
Publikationsdatum: 01.11.1994
Autor: ph.
Eigenschaften: Buch;
Buchangaben: Der Planet als Patient, Über die Widersprüche globaler Umweltpolitik (= Wuppertal Paperbacks), Birkhäuser, Berlin, Basel, Boston, 1994.
Buchautor: Sachs, Wolfgang (Hrsg.)
Seiten, Preis: 290 S. / 26 Fr.
ISBN: 3-7643-5058-X
Abstract-Nr: 45359
Abstract-ID: 00501050002