Oekodok
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Abstract
Umweltgeschichte der 50er Jahre: Bildband mit inspirierenden Texten
Es ist noch nicht so lange her, da war das Thema «Umweltgeschichte» kaum bekannt, weder bei Historikerinnen / Historikern noch bei Umweltfachleuten. Das hat sich geändert. An allen drei deutschschweizerischen Universitäten sind in den letzten Jahren zahlreiche Seminar- und Lizentiatsarbeiten zu umwelthistorischen Themen geschrieben worden. Ein Jahrzehnt scheint dabei auf besonderes Interesse gestossen zu sein: Die 50er Jahre. Auch in Basel setzte sich eine Arbeitsgruppe an der Universität - unterstützt von der Stiftung Mensch Gesellschaft Umwelt - mit den Mensch-Umwelt-Beziehungen in jenen Jahren auseinander. Das Ergebnis waren eine Ausstellung, die in Basel und der Region gezeigt wurde, sowie ein Katalog. Der Katalog ist in vielerlei Hinsicht unkonventionell. Das fängt schon mit der Aufteilung an: Die ersten 120 Seiten enthalten ganzseitige Bilder, ohne Kommentar und ohne eine auf den ersten Blick verständliche Abfolge. Erst nach längerem Betrachten und Blättern wird klar, dass es sich um mehr als nur eine willkürliche Aneinanderreihung von visuellen Eindrücken aus jener Zeit handelt. Die Struktur des Bildteils folgt nämlich der Struktur der Texte im zweiten Teil. Es sind Bilder, die nicht Informationen vermitteln, sondern Assoziationen wecken wollen: Familienbilder, Werbeplakate, Pressephotos. <br/> Unkonventionell ist auch die Themenauswahl im zweiten Teil des Buches. Den Einstieg bildet ein Einleitungstext von Arne Andersen und Jakob Tanner. Die beiden Historiker werfen dabei einen Blick über die Region Basel hinaus und versuchen, die Schweiz in den 50er Jahren historisch zu situieren. Unter dem Titel «Die Gleichzeitigkeit von Sparsinn und Wegwerfmentalität» thematisieren sie einerseits das Problem der Wahrnehmung von Umwelt, und andererseits skizzieren sie die Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre und ihre ökologischen Folgen. «Ist es legitim, einen kritischen Blick auf den 'blinden Fleck' dieses Jahrzehnts zu richten? Diese Frage ist eindeutig mit Ja zu beantworten, denn die historische Perspektive ist immer auch Ausdruck eines Gegenwartsbewusstseins», schreiben sie dazu. Der Einleitungstext ist sehr knapp gehalten, und gerne hätte man zur einen oder anderen Frage, die nur angeschnitten wird, noch etwas mehr erfahren. Allerdings ist vor kurzem eine weitere Publikation zu diesem Thema erschienen, die durchaus als Ergänzung zu diesem Katalog gelesen werden kann: Pfister, Christian (Hrsg.): Das 1950er Syndrom, Bern 1994 (Dokument: 00501100317). <br/> Spannend sind vor allem die Einzelbeiträge, insgesamt 17 Texte, die in fünf Bereiche eingeteilt sind: Haushalt, Mobilität, Natur, Landwirtschaft und Bilanzen. Im Bereich «Haushalt» widmen sich zwei Beiträge dem Wandel in der Hausarbeit; «Nicht nur das Innere des Haushalts ist mobil geworden, sondern die Gesellschaft überhaupt», schreibt Mirjam Thrier in ihrem Beitrag über den Wohndiskurs der 50er Jahre. Weitere Aspekte, die im Haushaltsteil vorkommen: Werbung und Widerstand zum Thema Einbauküche, die Entstehung der Selbstbedienungsläden in der Schweiz und die Fernsehmentalität der 50er Jahre - ein bunter Strauss von Puzzlesteinen also, die - alle zusammen - ein einprägsames Bild des alltäglichen Lebens und des Lebensgefühls in dieser Zeit entstehen lassen. <br/> Im Kapitel über «Mobilität» steht der Verkehr und der Diskurs über Verkehr im Mittelpunkt: «Das Thema Verkehr prägte die Basler Lokalpolitik der 50er Jahre wie kaum ein anderes», schreiben Stephan Appenzeller und Thomas Zürcher in ihrer Untersuchung über die zentralen Punkte der Basler Verkehrspolitik. Die weiteren, auch aus heutiger Sicht sehr aktuellen Beiträge runden das Mobilitäts-Kapitel ab: die Verbreitung des Automobils, die Bedeutung von Verkehrsbauten und - eines der originellsten Themen in diesem Buch - das Aufkommen der Campingbewegung. «Der Campingplatz, 'Stadt ohne Mauern', erscheint [...] als Ort, wo Utopien und Visionen eingeholt werden vom Alltag und von seiner sich steigernden Geschwindigkeit und Komplexität», stellt Sibylle Obrecht in ihrem Aufsatz «Moderne Zigeuner» fest. <br/> Auch in den Kapiteln über «Natur» und über «Landwirtschaft» kommen die verschiedensten Aspekte der Mensch-Umwelt-Beziehungen zur Sprache: Das reicht von der Naturwahrnehmung im Heimatfilm über den «Basler Maikäferkrieg» bis hin zum Strukturwandel in der Baselbieter Landwirtschaft. Weitgefächert ist auch das Themenangebot des Kapitels «Bilanzen»: Besonders spannend ist zum Beispiel der Ansatz von Jan Hodel. In seinem Beitrag «Wo Abfallberge sich erheben» geht er der Frage nach, wie das Abfallproblem in den 50er Jahren wahrgenommen wurde und welche Lösungen in Diskussion waren; er zeigt, dass es nicht zuletzt der Druck der Industrie war, der dazu führte, dass Basel auf die Verbrennung setzte und andere Möglichkeiten wie zum Beispiel die Kompostierung nicht weiterverfolgte. <br/> Wer das Buch in die Hand nimmt, läuft Gefahr, von der Vielfalt der Themen erdrückt zu werden. Bei manchem Aufsatz mag auch die Frage aufkommen: «Was hat das mit Umweltgeschichte zu tun?» Diese Frage stellt auch der Herausgeber Arne Andersen gleich zu Beginn des Buches. Seine Antwort: «Umweltgeschichte thematisiert alle Prozesse, die ihren Einfluss auf das Mensch-Natur-Verhältnis haben.» Mit dieser Definition fügen sich die Beiträge durchaus zu einem facettenreichen, spannenden Bild zusammen, das uns die 50er Jahre in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt.
Stichworte: Umweltgeschichte, Basel, 50er Jahre, Universität Basel, Stiftung MGU, Ausstellungen, Haushalt, Mobilität, Verkehr, Landwirtschaft, Energie, Abfall, Chemie
Schlagwort: Bücher und neue Medien > Rezensionen OekoDok
Medium: Ökomedia
Publikationsdatum: 01.11.1994
Autor: ph.
Eigenschaften: Buch;
Buchangaben: Perlon, Petticoats und Pestizide. Mensch-Umwelt-Beziehung in der Region Basel der 50er Jahre. Ausstellungskatalog, F. Reinhardt, Basel und Berlin, 1994.
Buchautor: Andersen, Arne (Hrsg.)
Seiten, Preis: 239 S. / 35 Fr.
ISBN: ISBN 3-7245-0856-5
Abstract-Nr: 45366
Abstract-ID: 00501050009