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Abstract


«morgen» – vom Besten, das letzthin zur Gentechnik geschrieben wurde

Gedacht ist «morgen» als «Materialienband zur Gen-Schutz-Initiative der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie». In Tat und Wahrheit ist das Buch darüber hinaus eine gelungene Einführung für alle, die sich mit der Gentechnologie auseinandersetzen wollen. <br/> Freilich beginnt der Band aus naheliegenden Gründen mit der Vorstellung der «Gen-Schutz-Initiative», die mutmasslich 1997 dem Schweizer Volk vorgelegt werden wird. Um es vorwegzunehmen: Dieses Kapitel kann nach Lektüre des Initiativtextes grösstenteils schadlos überblättert werden, denn die wirklich spannende Frage «Hätte die Initiative das Basler Biotechnikum verhindert?» bleibt im Kern unbeantwortet. Ausserordentlich spannend ist hingegen das mittlerweile berühmt gewordene Beispiel Humaninsulin: Mit tierischem Insulin hatten Diabetikerinnen und Diabetiker nie Mühe, weshalb der Schritt zu einem neuen Produkt nicht wirklich einzusehen ist – zumal das neue Produkt offensichtlich wesentlich ungünstiger wirkt und ein Risiko für die Patientinnen und Patienten darstellt. Professor Arthur Teuscher zeigt rücksichtslos, dass es beim gentechnisch hergestellten Insulin aber keineswegs um die Interessen der Patientinnen und Patienten ging und geht, sondern nur um die Geschäftspolitik (interessantere Rentabilität) der Herstellungsfirmen. Will heissen: Die bewährten tierischen Insuline werden vom weniger sicheren, gentechnisch hergestellten Insulin verdrängt, was auch ein Schlaglicht auf die Praxis der Medikamentenzulassung in der Schweiz wirft. <br/> Damit sind wir schon mitten in den Anwendungen der Gentechnologie, und hier kommt auch im Buch das erläuternde Kapitel «Aspekte der Gentechnologie», das die Gentechnik und ihre Manipulationsrisiken (nicht die Freisetzungsrisiken) leicht verständlich erklärt und weiterführt zum Kapitel «Patente auf Leben». Denn wo ein Produkt ist, winkt von ferne meist ein Patent. Dass dies im Fall der Gentechnologie Ungeheuerlichkeiten auslösen kann, ist nicht allen bekannt. Hier aber steht wieder, was wir so schnell verdrängen, wenn wir es denn überhaupt je wussten: Eine Firma besitzt beispielsweise das Patent und damit das Monopol auf jegliche (!) genmanipulierte Baumwolle, egal welche Methode angewandt oder welches Ziel angestrebt wird. Es ist daher nicht erstaunlich, dass sich der Basler Molekularbiologe und Nobelpreisträger Werner Arber gegen die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren und menschlichen Organzellen wendet. <br/> Was patentiert ist, ist freilich nicht schon automatisch freigesetzt. Und was freigesetzt ist, muss nicht kurzfristig zu Schäden führen: Die Risikoqualität der Freisetzungen ist erschreckend. Denn bis potentielle Schäden sichtbar werden, können Jahrzehnte bis Jahrhunderte vergehen. Und: Die Experimente sind unumkehrbar. Was einmal ausgesetzt ist, kommt nicht wieder zurück. Das bleibt in der Umwelt und gelangt über den einen oder anderen Weg auch zum Menschen. <br/> Dorthin gelangen auch jene Tiere, die gentechnisch so verändert wurden, dass sie schneller wachsen und mehr Gewicht ansetzen. Unrühmliche Spitzenreiterin scheint in dieser Disziplin die Fischzucht zu sein. Und solcher Fisch landet mehr oder minder frisch auf unserm Tisch – undeklariert, denn eine Kennzeichnungspflicht für Chromosomenverdopplung durch Kälteschocks gibt es nicht. <br/> Eine Deklarationspflicht gibt es (einstweilen?) auch nicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel, was derzeit zwischen der EU und den USA für Reibereien sorgt (Stichwort Soja). Das wussten die Verfasserinnen und Verfasser bei Niederschrift des Buches aber noch nicht, weshalb sich ihre Texte zeitlos kritisch mit den Gentech-Nahrungsmitteln beschäftigen. Ebenso aufschlussreich beschrieben sind die Auswirkungen der Gentechnologie und der Patentlogik auf die Dritte Welt. Nach einer gewissen Zuspitzung kann sogar gesagt werden: Indianer und Pflanzen sind beide Rohstoffe der Gen-Industrie. Mit dem ethischen Aspekt der Humangenetik befasst sich aus verschiedenen Perspektiven folgerichtig auch das letzte Kapitel. <br/> Jedes Kapitel verfügt über eigene Literaturhinweise und jeweils eine Seite mit «aktuellen Fragen» und «konkreten Antworten», die die üblichen Clichés aufgreifen und kommentieren (als Argumentarium sehr zu empfehlen). Bezeichnend für das Buch ist auch, dass es angenehm nüchtern und unspektakulär daherkommt, was es als weiterweisende Grundlage für Diskussionen ausserordentlich brauchbar macht. Gerade diese Qualität wird aber mutmasslich verhindern, dass das Buch im Abstimmungskampf um die «Gen-Schutz-Initiative» jene Beachtung findet, die es auch ohne Abstimmung verdiente. <br/> Ein Punkt freilich bleibt: Wer mir einen grossen Gefallen erweisen will, frage mich nicht, was der postmodern beliebig anmutende Titel «morgen» denn eigentlich heissen oder bedeuten soll.

Stichworte: Reinhild Traitler, Alex Schwank, Ruth Mascarin, Florianne Koechlin, Miges Baumann, Maya Doetzkies, Beat Aellen, Dominique Thommy-Kneschaurek, Simonetta Sommaruga, Norma Schenkel, Daniel Ammann, Bernhard Trachsel, Antoine Goetschel, Herbert Karch, Isabella Garcia, Dieter Stumpf («Die Freisetzung der Sinnfrage»), Gefahren, Risiken, John Moore, Rita Moll, Krebsmaus, Guaymi, Neem, Medizin, Grafiken, Erläuterungen, Killerbienen, Ruth Gonseth, Christoph Keller, Genschutz
Schlagwort: Bücher und neue Medien > Rezensionen Bücher und graue Literatur Ökomedia

Medium:
Ökomedia
Publikationsdatum: 01.02.1996
Autor: tsc.
Eigenschaften: Notizen; Buch; Statistiken/Grafik; Bericht; Kommentar;

Buchangaben:
«morgen». Materalienband zur Gen-Schutz-Initiative der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG), Realotopia-Verlagsgenossenschaft, Zürich, 1995.
Buchautor: Koechlin, Florianne / Ammann, Daniel
Seiten, Preis: 328 S. / 25 sFr.
ISBN: 3-907586-16-6

Abstract-Nr: 48839
Abstract-ID: 00511050006