Oekodok
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Abstract
Ein warmes und eindrückliches Buch zum menschlichen Alltag auf der Erde
Wie lebt der Mensch? Was braucht er zum Leben? Was zum Überleben? Dass der westliche Lebensstil nicht nachhaltig ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen, auch, dass wir zu viel CO2 produzieren, zu viel Energie und Material verbrauchen. Nachhaltigkeit ist zu einem vieldiskutierten Begriff geworden. Wie leben aber die Menschen anderswo, in Asien, Afrika oder Bosnien-Herzegowina? Ist ihre Lebensweise nachhaltig?<br/>Spätestens seit dem Umweltgipfel von Rio sind die globalen Zusammenhänge von Umwelt, Entwicklung und Konsum ins politische Tagesgeschäft gesickert. Was Wissenschafter vor zehn Jahren mit ihresgleichen diskutierten, lesen wir heute im Lokalteil der Tageszeitung. «Ozonloch» und «Treibhauseffekt» stehen neuerdings im Duden. Doch wo bleiben die Menschen? Wo ihre Ängste und Sorgen? Ihre Betroffenheit und ihr Engagement?<br/>Der Fotojournalist Peter Menzel wollte wissen, wie die Menschen leben, was sie beschäftigt und wie sie mit ihrer Umwelt umgehen. 16 Fotografen haben in dreissig Ländern eine «typische» Familie besucht, einige Tage mit ihnen gelebt, gegessen und gewohnt. Jede Familie hat ihre Habseligkeiten zusammengetragen und ablichten lassen. Entstanden sind 30 Bildreportagen von einer eindrücklichen Intensität. Wir lernen Menschen von Kontinenten kennen und sehen, was ihnen zur Verfügung steht. Wir sehen, wer mit wem zusammenlebt. Zu jeder Reportage haben die Fotografen ihre persönlichen Erlebnisse auch in Worten festgehalten. Zusätzlich finden wir jeweils eine Auflistung der Verbrauchsgegenstände, welche die porträtierte Familie besitzt, und einige Hintergrundinformationen zum Land, in dem sie leben.<br/>So weit, so gut. Doch das Ganze hat einen Haken. Was wir in diesen prächtigen Bildern sehen, ist ein Ausschnitt aus dem Leben. In der Einleitung steht, dass die Fotografen das gesucht haben, was man als «Mittelschicht» bezeichnet. Das mag sinnvoll sein, damit die Reportagen - vordergründig - vergleichbar werden. Doch der Effekt ist verheerend: Viele Entwicklungsländer zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nur eine ganz kleine Mittelschicht haben. Das hat viele Gründe: historische, wirtschaftliche und kulturelle. Die grosse Masse der Menschen lebt in Armut, weit unter dem materiellen Niveau der sogenannten Mittelschicht. In Westeuropa hingegen lässt sich ein Grossteil der Bevölkerung zur Mittelschicht zählen.<br/>Die vermeintliche Vergleichbarkeit der Reportagen wird zur Illusion: Während die porträtierten Familien aus Deutschland, Italien oder den USA durchaus repräsentativ sind für Konsumgewohnheiten und Materialverbrauch in ihren Ländern, trifft dies für die meisten Reportagen aus der Dritten Welt nicht zu. Die Unterschiede sind viel grösser, als das Buch uns glauben machen will. Dieser Effekt wird noch zusätzlich verstärkt, indem die aufwendigen Infrastrukturen des Nordens wie Strassen, Freizeitanlagen oder Kraftwerke nicht abgebildet sind.<br/>Man mag nun einwenden, dass es ja nicht die Absicht des Buches gewesen ist, die Lebensweise in Nord und Süd unter ökologischen Gesichtspunkten zu vergleichen. Reiner Klingholz weist aber in seinem einleitenden Text «Sechs Milliarden und kein Ende» auf die ökologischen Dimensionen des Lebensstils eindrücklich hin: «Ein Lebensstandard wie etwa in Deutschland ist überhaupt nur möglich, weil grosse Mengen an Rohstoffen importiert und noch grössere Mengen an Abfällen in jedem Aggregatzustand via Atmosphäre, Land und Wasser exportiert werden.» Er schliesst daraus, dass unter ökologischen Aspekten die Deutschen entweder ihre Bevölkerungszahl um den Faktor sechs reduzieren oder sechsmal bescheidener leben müssten. Beides sei aber nicht realistisch, und deshalb müsse die Effizienz gesteigert werden. Wer aber die Inventurlisten der in diesem Buch vorgestellten Familien in Westeuropa studiert, könnte auch zu einem anderen Schluss kommen: Wir müssen nicht effizienter, sondern bescheidener leben. Doch diesen (gedanklichen) Schritt wollen die Verfasser dieses Buches offensichtlich nicht machen.<br/>Neben all dieser Kritik soll aber etwas nicht verschwiegen werden: Die Bilder in diesem Buch sind von einer ganz seltenen Wärme und Eindrücklichkeit, und das ganze Buch ist sorgfältig und liebevoll gestaltet und produziert worden. Es ist ein Buch, in dem man lange und gerne blättert. Besonders eindrücklich sind auch die Tagebuchnotizen der Fotografinnen und Fotografen. Und was uns ganz besonders gefallen hat: eine Doppelseite mit 17 verschiedenen Toiletten aus aller Welt!
Stichworte: Lebensstil; Lebensstandard; Konsum; Material; Fotobände; Bildbände; Visualisierung; Nord-Süd-Vergleich
Schlagwort: Bücher und neue Medien > Rezensionen Bücher und graue Literatur Ökomedia
Medium: Ökomedia
Publikationsdatum: 01.12.1995
Autor: ph.
Eigenschaften: Buch;
Buchangaben: So lebt der Mensch. Familien in aller Welt zeigen, was sie haben, GEO-Verlag, Hamburg, 1995.
Buchautor: Menzel, Peter (Hrsg.)
Seiten, Preis: 255 S. / sFr. 73.80 / 78 DM
ISBN: 3-570-19063-3
Abstract-Nr: 49017
Abstract-ID: 00511050010